Christian Klaue ist Director Corporate Communications and Public Affairs Department beim Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Im Interview berichtet er über seinen Werdegang und die Kommunikationsstrategie der Organisation, die das größte und mit Abstand komplexeste Sportevent der Welt organisiert.
Redakteur, Pressesprecher, Kommunikations-Chef. Würdest du deine Karriere im Nachhinein anders gestalten? Welche Station und welche Person in deiner Laufbahn haben dich besonders geprägt?
Ich glaube, der Berufsweg wird von mehr geprägt als nur einzelnen Karriereschritten und Rollen, die man im Laufe der Zeit ausfüllt. Sie sind für den Lebenslauf wichtig. Genauso wichtig sind jedoch die Erfahrungen, die mit diesen Schritten verbunden sind und die Menschen, die einen auf diesem Weg begleiten. Und da möchte ich nichts und niemanden missen, gleichzeitig würde ich rückblickend betrachtet aber selbstverständlich manchen Fehler vermeiden.
Ich habe heute das großartige Privileg, für das IOC arbeiten zu dürfen, weil ich im November 2009 vom SID, wo ich mit Gerd Holzbach und Berthold Mertes zwei große Förderer hatte, als Pressesprecher zum DOSB gewechselt bin, und seitdem an der Seite des damaligen DOSB-Präsidenten und heutigen IOC-Präsidenten Thomas Bach arbeiten darf. Er und Michael Vesper als DOSB-Generaldirektor haben meinen beruflichen Weg geprägt wie niemand sonst und mir Erfahrungen ermöglicht, die mir jeden Tag aufs Neue bei der Bewältigung der Aufgaben helfen.
Aber es gab noch ganz viele andere Menschen während meiner Zeit als freischaffender Journalist bei der Wernigeröder Zeitung gleich nach dem Abitur, meinen zwei Jahren als Mitreisender des internationalen Kultur- und Bildungsprogramms Up With People, in denen ich bei über 100 Gastfamilien auf drei Kontinenten untergekommen bin und Teil einer Musical Show war, meinem Studium an der Deutschen Sporthochschule Köln, meiner Zeit als Pressesprecher der Leichtathleten von Bayer 04 Leverkusen und, und, und.
Als Pressesprecher ist es deine Aufgabe, die Entscheidungen deines Arbeitgebers in der Presse zu repräsentieren. Fällt dir das schwerer, wenn du selbst nicht hinter diesen Entscheidungen stehst?
Nein, überhaupt nicht. Ich war bis 2009 sehr gern Journalist. Die Olympischen Winterspiele Turin 2006, die Fußball-WM 2006 in Deutschland sowie die Olympischen Spiele Peking 2008 durfte ich in dieser Zeit miterleben und begleiten. Es war großartig.
Ich hatte jedoch stets das Gefühl, dass ich noch lieber mitgestalten mochte. Ich wollte mehr tun als beobachten und beschreiben – ich wollte die Ärmel hochkrempeln, anpacken, verändern, Verantwortung tragen. Als sich 2009 die Chance dazu bot, musste ich keine einzige Sekunde überlegen. Als Kommunikator für eine Organisation wie den DOSB oder das IOC vermittelt man ja nicht nur eine Entscheidung, die einem vorgesetzt wird, sondern man begleitet die Entwicklung der Entscheidung von Beginn an. Jedenfalls kenne ich das so. Mein Kollege Mark Adams, der IOC-Sprecher, und ich, haben einen sehr engen Austausch mit Thomas Bach und dem IOC-Führungsteam. Auch sämtliche IOC-Direktoren arbeiten als Mannschaft eng zusammen.
Natürlich muss man sich in so einer Rolle klar sein, dass nicht jede persönliche Meinung und jeder einzelne Rat auch berücksichtig werden kann, aber es gab noch nie – wirklich noch nie – die Situation, dass ich nicht hätte Input geben dürfen, wenn ich etwas vorbringen wollte. Und so kann ich sagen, dass es keine Entscheidung gibt, die ich nicht auch nach außen vertreten kann, selbst wenn ich möglicherweise auf dem Weg einen anderen Rat gegeben habe. Wenn die Entscheidung steht, gilt es sie zu erklären und zu vermitteln. Dann tut meine persönliche Meinung nichts zur Sache.
Die Olympischen Spiele können dieses Jahr wegen der Corona Pandemie nicht wie geplant stattfinden. Aus kommunikativer Sicht sicher eine Mammut-Aufgabe. Viele haben die Kommunikation des IOC in diesem Zusammenhang als „Hinhaltetaktik“ kritisiert. Wie bewertest du eure Vorgehensweise rückblickend?
Das war die verantwortungsvolle Vorgehensweise einer Organisation, die das größte und mit Abstand komplexeste Sportevent der Welt organisiert und ihre Bewertung der aktuellen Situation seit Mitte Februar auf Rat einer Task Force unter Einbeziehung der Weltgesundheits-Organisation regelmäßig angepasst hat. Am Ende dieses Prozesses ist das IOC binnen drei Tagen gemeinsam mit Ausrichter Japan und Tokio zu dem Entschluss gekommen ist, die Spiele zu verschieben. Weitere sechs Tage später stand schon ein neuer Termin fest. Das finde ich im Ergebnis ziemlich gut.
Wenn wir uns nochmal zurückerinnern, befanden wir uns in diesen Tagen im März 2020 alle in einer hochemotionalen und noch nie dagewesenen Situation. Wenn binnen weniger Tage ganze Länder in den Lockdown geschickt werden und plötzlich der gewohnte Lebensalltag der Menschen nicht mehr existiert, dann ist klar, dass Menschen emotional sind und sich entsprechend äußern. Sie wünschen sich Klarheit, Orientierung und schnelle Entscheidungen. Rückblickend, so mein Gefühl, hat sich das aber stark relativiert.
Wer war an der Entscheidung beteiligt?
Ich war gerade vor ein paar Tagen in einer Diskussionsrunde mit Johannes Herber, dem Geschäftsführer von Athleten Deutschland, der beschrieb, wie sich auch die Athletenmeinung innerhalb weniger Tage entwickelte. Es gab am Ende theoretisch zwei Möglichkeiten für das IOC: die Spiele abzusagen oder zu verschieben. Während das IOC die Absage alleine hätte entscheiden können, brauchte es für die Verschiebung Japan und Tokio als Gastgeber an Bord. Das war am 24. März nach einem Telefonat von Japans Premierminister Shinzo Abe und IOC-Präsident Thomas Bach der Fall. Zwei Tage vorher hatte das IOC angekündigt, mit Japan über eine Verschiebung zu sprechen.
Dies war das Ende des oben beschriebenen Prozesses, in dem das IOC seine Szenarien ständig angepasst, über diese Anpassungen kommuniziert und die Athleten und alle Stakeholder umfangreich konsultiert und informiert hat.
Das IOC hat in den Medien häufig ein ähnliches Standing wie der Vatikan. Man beschwert sich über alte Strukturen und noch ältere Protagonisten, über Korruption und Macht-Monopole. Woher kommt diese negative Grundeinstellung und wie sieht deine Strategie aus, um dem entgegenzuwirken?
Man kann hier nicht über DIE Medien sprechen. Es gibt einige Medien, für die trifft das zweifelsohne zu. Für sie hat das IOC seit Jahren keine einzige richtige Entscheidung getroffen. Selbstverständlich ist es richtig, Entscheidungen des IOC zu hinterfragen. Aber kennst du eine Organisation, die über Jahre keine einzige richtige Entscheidung getroffen hat?
Wir versuchen, unsere Entscheidungen sauber zu kommunizieren und immer wieder zu erklären. Aber wenn jemand mit einer „negativen Grundeinstellung“ an etwas herangeht, wie du in deiner Frage sagst, dann haben es Argumente natürlich deutlich schwerer. Das ist jedoch längst nicht bei allen Medien so. Ich lese auch sehr viel ausgewogene Berichterstattung.
Maßnahmen der Corporate Communications können dazu beitragen, ein neues Image aufzubauen oder das bestehende Image weiterzuentwickeln oder zu stärken. Was ist das aktuelle Kommunikations-Ziel des IOC?
Das IOC ist eine weltumspannende Organisation, die ohne einen einzigen Dollar aus Steuergeldern an ihrer Mission arbeitet, durch Sport zu einer besseren Welt beizutragen und bei den Olympischen Spielen Athletinnen und Athleten aus 206 Nationalen Olympischen Komitees (NOKs) sowie dem IOC-Flüchtlingsteam zusammenzubringen. Dies ist wahrscheinlich das stärkste Signal für Frieden und Miteinander, das unsere Welt kennt. Diese Rolle des IOC und der Olympischen Spiele klarzumachen, ist unser Hauptziel.
Das versuchen wir auf allen Ebenen zu vermitteln – digital aber auch durch Reden bei den Vereinten Nationen, wo das IOC einen Beobachterstatus hat, oder bei Gesprächen auf höchster politischer Ebene. Am sichtbarsten wird dies jedoch bei Olympischen Spielen im Olympischen Dorf.
Dort triffst du Menschen aus aller Herren Länder; es ist die faszinierendste Atmosphäre, die ich je erlebt habe. Dreimal durfte ich als Sprecher des Team D im Olympischen Dorf wohnen. In der Mensa des Olympischen Dorfs zu sitzen und einfach nur die Sportlerinnen und Sportler zu beobachten, zu sehen, was uns trotz all unserer Unterschiede verbindet und wie Solidarität gelebt wird, ist einmalig. Darauf basieren die Olympischen Spiele. Für die ganze Welt sichtbar und nachvollziehbar wird dies bei der Eröffnungs- und Schlussfeier der Olympischen Spiele.
Den Olympic Channel gibt es neben Instagram auch auf Snapchat und TikTok. Damit spricht das IOC gezielt eine jüngere Zielgruppe an. Welches übergeordnete Ziel steckt dahinter?
Den Sport zu Menschen jeden Alters zu bringen, zum aktiven Lebensstil zu animieren und jeden Kanal zu nutzen, um die olympischen Werte zu vermitteln. Wir wollen die jungen Menschen für den Sport und die Olympischen Spiele begeistern, dabei spielen soziale Medien eine wichtige Rolle. Deshalb sind auch die Olympischen Jugendspiele im Jahr 2010 eingeführt worden, die seitdem alle vier Jahre ausgetragen werden (jeweils Sommer und Winter).
Viele olympische Athleten kommen aus Randsportarten und sind auf ihre persönlichen Sponsoren angewiesen. Diese würden den Athleten wesentlich höhere Beträge bezahlen können, wenn das IOC erlauben würde, dass sie während der Spiele zu sehen sind. Warum verbietet das IOC das durch die Rule 40?
Gut, dass du das ansprichst. Dies gibt mir die Gelegenheit, hier ein Missverständnis aufzuklären, das auch in deiner Frage zum Ausdruck kommt. Die Regel 40 verbietet eben nicht, dass Sponsoren während der Olympischen Spiele mit ihren Athleten kommunizieren und werben. Generische Werbung ist Athleten und Sponsoren nämlich erlaubt.
Nicht erlaubt ist lediglich, den Bezug zu den Olympischen Spielen herzustellen, wobei der Rahmen von Land zu Land sehr unterschiedlich definiert ist, da die Sportsysteme und deren Finanzierung komplett unterschiedlich sind. Dementsprechend muss die Umsetzung der Regel 40 angepasst sein.
Durch die Regel 40 wird das Solidaritätsmodell gesichert, mit dem der olympische Sport und die Olympischen Spiele finanziert werden. Dieses Solidaritätsmodell stellt sicher, dass die Vielfalt der Sportarten erhalten bleibt und Athletinnen und Athleten aus 206 NOKs und dem IOC-Flüchtlingsteam bei Olympischen Spielen vertreten sein können. Alle werden gleich behandelt.
Wie werden die Athleten an den IOC-Einnahmen beteiligt?
Die Regel 40, die im Übrigen in den letzten Jahren im Zuge der Olympischen Agenda 2020 gelockert worden ist, sorgt für einen fairen Interessensausgleich zwischen den individuellen Interessen der Athleten und ihren Sponsoren und den Sponsoren der Olympischen Spiele, die anders als bei fast jedem Sportevent dieser Welt nicht etwa auf der Bande oder irgendwo im Stadion zu sehen sind, was eine weitere Besonderheit von Olympischen Spielen ist. 90 Prozent aller IOC-Einnahmen kommen den Athleten aus aller Welt zu Gute. Das sind in der zurückliegenden Olympiade rund 5 Milliarden US-Dollar gewesen – täglich rund 3,4 Millionen US-Dollar. Die Hälfte davon geht direkt an die Organisationskomitees von Olympischen Spielen, die die größte Plattform für alle Sportlerinnen und Sportler und die Vielfalt des Sports sind.
Die Verteilung der restlichen Mittel erfolgt nach dem schon angesprochenen Solidarmodell. Die Bedeutung dieses Modells hat auch das Internationale Athletenforum des IOC im April 2019 mit 350 Teilnehmenden aus 185 NOKs, 50 internationalen Verbänden und zahlreichen anderen Organisationen unterstrichen.
Die Wichtigkeit dieses Solidarmodells zeigt sich auch und vor allem gerade in der aktuellen Situation. Ohne olympische Solidarität gäbe es keine Vielfalt des olympischen Sports und keine Universalität der Olympischen Spiele.
Wenn du einen sportpolitischen Wunsch frei hättest, wäre das…
Sportpolitisch wünsche ich mir volle Unterstützung für den solidarisch organisierten Sport, der auf dem freiwilligen Engagement von Millionen von Menschen aufgebaut ist und sportlich wünsche ich mir erfolgreiche Olympische Spiele Tokio 2020 vom 23. Juli bis 8. August 2021.
Über Christian Klaue
Christian Klaue hat an der Deutschen Sporthochschule Köln Sportwissenschaften mit dem Schwerpunkt Medien und Kommunikation studiert. Nachdem er journalistische Erfahrungen bei der Wernigeröder Zeitung gemacht hat, wurde er Pressesprecher den Leichtathleten von Bayer 04 Leverkusen, arbeitete beim SID und setzte seine Karriere beim DOSB und schließlich beim IOC fort. Dort ist er heute Director Corporate Communications and Public Affairs Department.
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