Eingestaubte Vereinsmeierei trifft auf eine unverbindliche Online-Generation. Bei Sätzen wie „Das haben wir schon immer so gemacht“ suchen junge Erwachsene das Weite und würden nicht einmal mit Festanstellung und gutem Gehalt für die Institution arbeiten – geschweige denn ihre Zeit ehrenamtlich zur Verfügung stellen. Die Vereine wiederum sind ohne den Nachwuchs im Ehrenamt aufgeschmissen und stehen aktuell vor einem gewaltigen Problem.
Übersicht
- Ehrenamt – was ist das?
- Fakten zum Ehrenamt im Sport
- Problem Nr. 1: Fehlende Verbindlichkeit der Generation Z
- Problem Nr. 2: Werte sind zentral
- Problem Nr. 3: Fehlende Anerkennung und wachsende Anforderungen im Ehrenamt
- Hat der Sport ohne Ehrenamt noch eine Chance?
- Lösung Nr. 1: Strukturen anpassen
- Lösung Nr. 2: Sportvereine brauchen Marketing
- Lösung Nr. 3: Mitarbeiter ausbilden und Anforderungen gerecht werden
- Ausblick: Der Sportverein von morgen
- Wo bleibt die Romantik?
Ehrenamt – was ist das?
Das Ehrenamt ist der normative und ideelle Urstoff, aus dem Sportvereine und Verbände überhaupt erst entstanden sind. Das Ehrenamt verkörpert Gemeinschaftsbildung und soziale Werte und erfüllt für Vereine nicht zuletzt auch ökonomische Funktionen, die jenseits der normalen Prinzipien des Marktes liegen und ohne die ein Großteil der Vereine nicht weiterbestehen könnte. Wie jedes Segment der Gesellschaft hängt auch der Sport qualitativ entscheidend davon ab, ob eine große Zahl an Menschen bereit ist, durch freiwilliges und unbezahltes Engagement an der Gestaltung mitzuwirken. Nichts anderes ist das Ehrenamt.
Der aktuell gebräuchlichere Terminus ist übrigens „Freiwillige“ bzw. „Freiwilligen-Arbeit“, da sie nicht zwingend an ein festes Amt geknüpft sein muss, sondern auch temporäre Aushilfstätigkeiten oder Projektarbeit implizieren kann.
Fakten zum Ehrenamt im Sport
In Deutschland arbeiten aktuell rund 8 Millionen Freiwillige in mehr als 90.000 Sportvereinen. Davon haben 750.000 ein dauerhaftes Amt inne. Durchschnittlich arbeitet jeder Freiwillige 13,4 Stunden pro Monat für seinen Verein (Quelle: DOSB „Ehrenamt und freiwilliges Engagement“, 2020).
Interessant ist ein Blick auf die Altersstruktur im Ehrenamt. Die Vorstandsmitglieder, Schatzmeister und Geschäftsführer deutscher Sportvereine sind im Durchschnitt älter als 50 Jahre. Also keine Spur von Nachwuchs. Woran liegt’s?
Problem Nr. 1: Fehlende Verbindlichkeit der Generation Z
Woher soll ein 20-Jähriger heute noch wissen, was er in einem Jahr macht, wo er wohnt und ob er dann noch Zeit und Lust hat, ein Ehrenamt zu besetzen, das auch noch mit viel Verantwortung verknüpft ist? Umzüge und Jobwechsel sind heutzutage selbstverständlicher als vor einigen Jahren. Schule, Studium, Ausbildung, Familie, Sabbatical – all das findet nur in den seltensten Fällen am selben Ort statt. Junge Leute wollen deshalb flexibel sein und bleiben. Genau das ist aber eine zentrale Anforderung von festen Ämtern in Sportvereinen, weshalb diese immer seltener durch junge Freiwillige besetzt werden.
Anders sieht es übrigens bei zeitlich begrenzten Aufgaben für Freiwillige aus. Nicht selten gibt es auf ausgeschriebene Volunteer-Stellen ein Vielfaches mehr Bewerber, als es Stellen gibt. Projektbezogene Arbeit ist im Trend – eben, weil sie zeitlich befristet ist und den jungen Freiwilligen die zeitliche Flexibilität gewährt, die sie brauchen und wollen.
Zusammenfassend kann man sagen: Der Nachwuchs im Ehrenamt hat kein quantitatives, aber ein qualitatives Problem. Es gibt mehr als genug Freiwillige – nur nicht genug Stellen, die auf ihre Bedürfnisse passen.
Problem Nr. 2: Werte sind zentral
Wie wurde ein Ehrenamt früher neu besetzt? Kein Witz: es wurde vererbt! Heute eigentlich nicht mehr vorstellbar. Der Grund dafür liegt darin, dass die neue Generation Freiwillige Selbstverwirklichung als zentrales Motiv ihrer Arbeit sieht.
Welche Werte vertritt die Organisation, die ich da unterstützen soll? Stimmen diese Werte mit meinen überein? Wie engagiert sich die Organisation sozial? Handelt sie nach ökologischen Grundprinzipien? Wie sieht der Beitrag zur Integration von Flüchtlingen aus? Sind Männer und Frauen gleichberechtigt?
So. Und jetzt stell dir mal den Vorstand eines traditionell aufgestellten Fußballvereins vor, dem diese Fragen von einem möglichen freiwilligen Mitarbeiter gestellt werden. KA – TAS – TRO- PHE!
Problem Nr. 3: Fehlende Anerkennung und wachsende Anforderungen im Ehrenamt
Sport gehört für seine Konsumenten (mit Ausnahme von Profisportlern) zur Freizeitgestaltung. Freizeit ist in unserer modernen Gesellschaft ein rares Gut. Mitglieder von Sportvereinen erwarten schnelle Bearbeitungszeiten, funktionierende Abläufe und optimierte Prozesse, wenn sie ihre kostbare Freizeit im Verein verbringen. Alles muss sitzen. Dass es sich bei ihren Ansprechpartnern um Freiwillige handelt, vergessen sie gerne mal. Dank oder Lob oder Verständnis bei Fehlern oder Verzögerungen bleiben deshalb oft auf der Strecke.
Für die Generation Z ist es ein elementares Ziel ihrer Arbeit, dass sie sinnstiftend ist. Erfahren sie kein positives Feedback, sind sie raus – so einfach ist das.
Hat der Sport ohne Ehrenamt noch eine Chance?
Ohne Freiwillige steht der Sport vor unüberwindbaren Problemen. Die Zahlen beweisen, dass Freiwillige unersetzbar sind und die Vereine sie auf mehreren Ebenen zum Überleben brauchen. Die heranwachsende Generation Freiwillige bringt eine Reihe von spezifischen Anforderungen mit, auf die die Vereine schnellstmöglich reagieren müssen, um Personalengpässen vorzubeugen. Nur so haben sie eine Chance.
Lösung Nr. 1: Strukturen anpassen
Wenn junge Freiwillige mehr projektbezogene Arbeit brauchen und weniger zeitliche Verbindlichkeiten eingehen wollen, muss sich das in den Organisationsstrukturen der Vereine widerspiegeln. Ein Beispiel: Der eine Kassenwart eines Mehrsparten-Vereins wird nicht mehr einfach 1 zu 1 durch den nächsten ersetzt, sondern seine Aufgaben werden auf mehrere Personen aufgeteilt und sinnvoll untergliedert. Eine neue Position könnte „Kassenwart der männlichen Fußball-A-Jugend für die Saison 20/21“ heißen. Projektbezogen, zeitlich überschaubar und damit wie gemacht für die Generation Z. Die Studienlage des DOSB beweist, dass es quantitativ nicht zu wenige Freiwillige gibt, um Ämter (bzw. Projekte) so zu besetzen.
Natürlich geht diese Lösung einher mit einem erhöhten Verwaltungs- und Organisationsaufwand der Freiwilligen. Auch dies kann durch projektbezogene Positionen mit vorher fest definierten Strukturen und Aufgaben oder auch durch hauptamtliche Mitarbeiter (s.u.) abgedeckt werden.
Lösung Nr. 2: Sportvereine brauchen Marketing
Für welche Werte ein Verein steht und wie diese gelebt werden, muss aktiv kommuniziert werden. Nur so werden potentielle Freiwillige auf den Verein aufmerksam und können sich mit ihm identifizieren. Die Mitarbeiter kommen nicht mehr von alleine. Die Vereine müssen um sie werben! Der Vorstand, der das nicht versteht und stattdessen seine Kraft in das Meckern über das fehlende Engagement der jungen Leute steckt, wird den Anschluss verlieren.
Lösung Nr. 3: Mitarbeiter ausbilden und Anforderungen gerecht werden
Die Bildungswerke der Landessportbünde bieten Qualifizierungskurse für Mitarbeiter und Freiwillige in Sportvereinen an. Ein Blick auf die Angebote zeigt einen klaren Trend: Mit Maßnahmen wie einer standardisierten, mehrstufigen Laufbahn zum Vereinsmanager reagieren sie auf die gestiegenen Anforderungen an die Ämter in Vereinen und schaffen eine Grundlage, mit der die Vereine, wenn sie sie dann nutzen und an der richtigen Stelle investieren, ihre Freiwilligen besser qualifizieren können, wodurch die Anforderungen der Mitglieder befriedigt werden. Das wiederum steigert die Zufriedenheit der Freiwilligen und bindet sie an die Arbeit im Verein.
Ausblick: Der Sportverein von morgen
Vereine, die infrastrukturell mindestens genauso gut aufgestellt sind, wie Fitness-Studios, sind stark im Kommen. Mit mehreren festangestellten Mitarbeitern bewältigen sie das anfallende Tagesgeschäft schnell und effizient wie Unternehmen. Sie verfügen über genug Manpower, um die Arbeit von vielen Freiwilligen zu organisieren und ständig zu optimieren. Sie sind mehrspartig, haben aktuelle, zeitgemäße Web- und Social Media Auftritte und verfügen nicht selten über mehrere Tausend Mitglieder. Dort, wo so gute Strukturen vorhanden sind, werden Freiwillige nicht etwa überflüssig, sondern erhalten neue, zu ihren Bedürfnissen passende Aufgaben.
Wo bleibt die Romantik?
Hört sich doch alles modern und zeitgemäß an, oder? Auf dem Papier erstmal fantastisch – das Konzept steht. Wenn man mal kurz die Brille des Sportmanagers abzieht und an die eigene Zeit im Verein zurückdenkt, fällt einem ein, was im „Verein von morgen“ fehlt: die Romantik.
Wenn die Omas der Kinder bei Heimspielen Kuchen verkaufen, die Väter den Bier- und Grillstand schmeißen und abwechselnd Tribünen-Trainer spielen, der ganze Verein mit Hund und Klüngel zum Pfingstturnier fährt und jeder jeden kennt, wirkt das vielleicht unter Anbetracht der ganzen o.g. Probleme und Lösungen alles andere als zeitgemäß. Aber mal ganz ehrlich: so ein bisschen Vereinsmeierei hat doch auch was, oder nicht?
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