Übersicht
- Ist eSport Sport oder kein Sport? Eine Frage mit weitreichenden Konsequenzen.
- Was ist eigentlich Sport?
- Fakten-Check: Was ist eigentlich eSport?
- Computer-Nerds oder Rockstars?
- What´s the point, DOSB?
- Vereine ziehen mit und vergrößern Druck auf den DOSB
- Grund 1: Die physische Ausübung des eSport
- Grund 2: Starker Körper, starker Geist!
- Grund 3: Nicht ohne mein Team!
- Grund 4: Das Märchen vom Nerd ohne Freunde
- Grund 5: Liga, Struktur, Verband – der eSport hat sich organisiert
- Grund 6: Ausprägungen im Breiten- und Spitzensport
- Grund 7: Die Fansbase des eSport
- Fazit
Ist eSport Sport oder kein Sport? Eine Frage mit weitreichenden Konsequenzen.
Das Thema belastet die Sportpolitik seit einigen Jahren zunehmend und Funktionäre können die Augen vor der ständig an Beliebtheit und Popularität gewinnenden eSport-Bewegung kaum noch verschließen. Tun sie auch nicht: Debatten, Diskussionen, Beschlüsse, Studien – so viel steht fest: der eSport bringt Schwung in die Bude! Für die eSportler geht es einerseits um eine ideelle Anerkennung als Sportart und andererseits um die damit verbundenen reellen Konsequenzen: Sportvereine genießen in Deutschland sowohl einige Vorteile auf finanzieller / steuerlicher Seite und haben andererseits auch bessere Möglichkeiten, sich als massentaugliche, anerkannte olympische Sportart zu integrieren. Und das sind nur die plakativsten Beispiele für Begleiterscheinungen, die diese Diskussion mit sich bringt…
Was ist eigentlich Sport?
Um zu herauszufinden, ob der eSport zum traditionellen Sportverständnis passt, hilft die Definition von Sport. Aber Definition ist nicht gleich Definition. Eine Duden-Definition ist hier wohl nicht wirklich zielführend – schließlich geht es darum, die oberste Instanz des organisierten Sports in Deutschland, den DOSB (Deutscher Olympischer Sportbund), davon zu überzeugen, dass eSport tatsächlich eine Sportart ist. Folglich stützten sich Vertreter des eSports auf die Definition von Sport, die der DOSB selbst entworfen hat. Demnach handelt sich es um Sport, wenn
- die Ausübung mit physischer Bewegung zu tun hat,
- Vereinsstrukturen bestehen oder
- gewisse ethische Werte vertreten werden.
Fakten-Check: Was ist eigentlich eSport?
Gamen, zocken, daddeln – so gut wie jeder in unserer Gesellschaft hat eine ungefähre Vorstellung davon, was sich hinter eSport verbirgt. Nach Schätzungen des DESB (Deutscher eSport Bund) gibt es alleine in Deutschland circa 3 Millionen E-Sportler (zum Vergleich: DVV (Deutscher Volleyball Verband) + DBB (Deutscher Basketball Bund) + DEB (Deutscher Eishockey Bund) kommen zusammen auf circa 0,64 Millionen Mitglieder) im Breiten- und Profibereich. Diese 3 Millionen eSportler sind für einen jährlichen Umsatz von rund 3 Milliarden Euro für Video- und PC-Spiele verantwortlich.
Keine Frage, diese Zahlen knallen erstmal ganz ordentlich. Ein mehr als ernst zu nehmender Wirtschaftszweig in Kombination mit einer kaufkräftigen Zielgruppe, die für klassisches Marketing schwer zugänglich ist – man muss kein Marketing-Experte sein, um zu verstehen, dass Sponsoren mit großen Augen auf diese Entwicklungen schielen.
Computer-Nerds oder Rockstars?
E-Sportler – Hand auf´s Herz: wer denkt da nicht an den pubertären Nerd ohne Freunde, der sich in seine Phantasie-Welt verkriecht? Ein Blick nach Asien beweist das Gegenteil. Ländern wie China oder Japan, die in Sachen Technologisierung Mitteleuropa einige Jahre voraus sind, zeigen, wie die Zukunft aussehen kann: eSportler werden in ausverkauften Arenen vor zehntausenden Menschen gefeiert wie Rockstars oder Profifußballer in Europa. Auch Spieler, die nicht zur absoluten Spitze gehören, haben finanziell ausgesorgt, haben Groupies, Fans, sind Werbegesichter, vertreiben wie CR7 eigene Mode-Labels und nutzen ein professionelles Management im Hintergrund zur Vermarktung. Betrachtet man die Entwicklung der Digitalisierung und Technologisierung im Zusammenspiel mit dem stetig wachsenden Stellenwert von eSport in Deutschland wirkt dieses Bild vom Gamer schon gar nicht mehr so surreal, oder? Leute, aufwachen! Es ist gut möglich, dass das die Zukunft ist!
What´s the point, DOSB?
Das war jetzt ne ganze Reihe von Fakten, die klar für den eSport als Sport sprechen. Wie immer sollte man sich aber die Argumente der Gegenseite anhören, um das Thema ganzheitlich zu verstehen und objektiv beurteilen zu können. Dabei handelt es sich nämlich nicht um einen sturen Haufen verstaubter Funktionäre, die sich gegenüber Neuerungen komplett verschließen. Der DOSB hat sich durchaus ernsthaft mit dem Thema auseinandergesetzt und ein unabhängiges Gutachten erstellen lassen, das den eSport auf seine Gemeinnützigkeit hin überprüft. Ich sage: Daumen hoch, DOSB! Das ist ein Statement, auf dessen Grundlage man fundiert weiter in die Diskussion einsteigen kann und den eSport genau unter die Lupe nimmt.
Aber was genau hat der Dachverband am eSport eigentlich auszusetzen? Die wesentlichen Argumente gibts hier in der Übersicht:
Contra eSport: ARGUMENT 1
Gewinnorientierte Unternehmen bestimmen im eSport über Regeln, Spiel-, und Wettkampfsysteme. Im Gegensatz dazu steht das demokratische, pyramidiale System des Sports, in dem Verbände, Vereine und letzten Endes Mitglieder über solche Themen entscheiden. Der DOSB sieht somit eine Einschränkung der Autonomie des Sports und eine klare Beeinflussung durch kommerzielle Stakeholder.
KOMMENTAR: Im Ernst?! Für mich stellt sich an dieser Stelle eine ganz grundsätzliche Frage: Welcher Sport, der heute in Deutschland professionell betrieben wird, ist nicht abhängig von kommerziellen Interessenvertretern? Hinter jedem Verein und jedem Verband pranken die Sponsoren-Logos hervor, ohne die Profisport auch einfach nicht umsetzbar wäre. Das hier soll keine Kritik am ganzen System werden (um Gottes Willen…), aber die Augen so sehr davor zu verschließen und eine Einschränkung der Autonomie an dieser Stelle als Argument zu bringen halte ich nicht für angemessen und nicht zu Ende gedacht. Der traditionelle Sport braucht die Wirtschaft und ihr Geld – der eSport auch.
Contra eSport: ARGUMENT 2
Die moralischen Werte, die der Sport vertritt, werden in vielen Spielen im eSport nicht widergespiegelt. Und es geht noch weiter: Der eSport vertritt nicht nur einige Werte des traditionellen Sports nicht, sondern gibt auch noch andere Werte vor, mit denen man sich beim DOSB nicht identifizieren will. Damit ist insbesondere die Tötung von Menschen, Tieren oder ganzen Völkern gemeint.
KOMMENTAR: Touché. Nicht nur in den klassischen Ballerspielen wird getötet. Rollenspiele, Strategiespiele – überall wird gemetzelt, gefrackt und gekillt. Das ist das Thema dieser Spiele und davor kann auch kein Zocker die Augen verschließen. Im eSport geht es übergeordnet trotzdem um Ziele, die durchaus mit „höher, schneller, weiter“ vereinbar sind. Dem eSportler geht es nicht darum, zu töten. Es geht ihm darum, einen Spielzug schneller, präziser oder cleverer auszuüben als der Gegner. Dass die Konsequenz dieser Überlegenheit zufällig der Tod des Gegners ist, ist absolute Nebensache. Dieser Gedanke ändert nichts daran, dass die Themen der meisten Games hinsichtlich ihrer moralischen Werte noch etwas Platz für neue Ideen lassen, um das mal vorsichtig zu formulieren.
Contra eSport: ARGUMENT 3
Zocken ist nicht gleich zocken. Der DOSB differenziert klar zwischen E-Gaming (z.B. Counter Strike) und virtuellen Sportarten (z.B. FIFA oder Holofit). Im E-Gaming sieht der Dachverband bisher keine Möglichkeit einer Anerkennung als Sportart. Das sieht bei den virtuellen Sportarten schon anders aus. Das populäre Spiel FIFA vertritt nämlich durchaus die moralischen Werte, die der traditionelle Sport vorlebt. Noch deutlicher werden die Gemeinsamkeiten bei Spielen wie Holofit, wo die reale körperliche Aktivität des Gamers klar im Fokus steht.
KOMMENTAR: Wenn der DESB clever ist, nimmt er diese Erkenntnis des DOSB als Chance, um den berüchtigten Fuß in die Tür zu kriegen. Meiner Meinung nach ist diese Aussage ein Riesen Schritt für den DOSB, der sich hier kompromissbereit zeigt und sich eingesteht, dass nicht alles, was auf Konsolen und Rechnern geschieht pauschal nichts mit Sport zu tun hat. Die Breitbande an elektronischen Spielen ist in den letzten Jahren immens gewachsen. Mit der WEE gibt es inzwischen sogar eine eigene Konsole, die auf den Zug der virtuellen Sportarten aufspringt. Das Zocker-Erlebnis ist so realitätsnah und kommt so gut an, grade weil eben die reale physische Ausübung als Erfolgs-Komponente hinzukommt – gerne mehr davon!
Vereine ziehen mit und vergrößern Druck auf den DOSB
Was den Druck auf den DOSB erhöht, ist die Tatsache, dass ganz normale Sportvereine, in denen traditioneller Sport wie Fußball, Handball oder Turnen angeboten wird, auch beginnen, auf den eSport-Zug aufzuspringen. Das geschieht auf allen Ebenen: Nicht nur im Dorfverein von nebenan wird plötzlich gezockt, auch die oberste Sperspitze der Vereine, nämlich die Clubs aus der 1. Fußball Bundesliga, haben den Trend erkannt und beschäftigen schon längst eigene Profi Teams im eSport. Für sie stellt sich aktuell gar nicht mehr die Frage ob sie eine eSport Abteilung eröffnen, sondern nur noch wann! Für den eSport ist das natürlich eine Riesen Chance. Durch den Anschluss an Vereine, die dazu noch über eine gehörige öffentliche Strahlkraft verfügen, werden sie klammheimlich Teil des organisierten Sports und gehören Vereinen an – wenn auch nicht ihren eigenen. Wenn das mal kein großer Schritt in Richtung gesellschaftliche Etablierung ist, weiß ich’s auch nicht.
Genug Vorgeplänkel. Du weißt jetzt, was Sport ist, was eSport ist und was der Sport (= der DOSB) für ein Problem mit dem eSport hat. Weiter gehts mit sieben knackigen Gründen, die dafür sprechen, dass eSport Sport ist.
Grund 1: Die physische Ausübung des eSport
Was genau passiert eigentlich auf physischer Ebene beim eSport? Gibt es etwas, was der eSportler rein motorisch kann, was ein „normaler“ Sportler nicht oder nur schlechter kann? Die Antwort lautet klar: JA! Wer gut im eSport ist, verfügt über motorische Fähigkeiten, die nachgewiesen bei Nicht-eSportlern weniger ausgeprägt sind. Dazu zählen vor allem die Hand-Augen-Koordination, die Feinmotorik in den Händen und die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit. Hinzu kommt, dass bestimmte Spielsituationen die Spieler in Stress-Situationen versetzen, die die Herzfrequenz auf das Level eines durchschnittlichen Ausdauer-Laufs ansteigen lassen. Für meine Begriffe ganz schön viel, was die reine Körperlichkeit und Physis angeht, oder?
Grund 2: Starker Körper, starker Geist!
Die oben genannten motorischen Fertigkeiten müssen geübt werden. Wer reaktionsschneller, konzentrationsfähiger oder ausdauernder ist, bringt bessere Voraussetzungen mit, ein guter eSportler zu sein. Ergo ist eine gewisse körperlich Fitness ein absolutes Muss für eSportler, die erfolgreich sein wollen. Die eSport Teams aus den Bundesligavereinen zeigen, wie es geht: Athletik Training zur Steigerung der allgemeinen Fitness und Ausdauer, Tischtennis und Kicker als Training zur Verbesserung der Reaktionsfähigkeit und zur Verbesserung der Hand-Augen-Koordination. All das entspricht weitaus mehr dem Bild eines Sportlers, als dem, eines Zocker-Nerds. Wem das noch nicht reicht: Die DSHS Köln hat in einer Studie nachgewiesen, dass 2/3 der eSportler die Vorgaben der WHO zum Umfang der körperlichen Ertüchtigung befolgen. Das ist mehr, als der deutsche Durchschnitt.
Grund 3: Nicht ohne mein Team!
Abwehr, Angriff, Spielzüge, Taktik, Über- und Unterzahl – alles Begriffe, die auch im eSport tragende Rollen spielen. Teamplay und Tatktik sind in den meisten Spielen enorm wichtig und erfordern präzise Absprachen, komplexe Wenn-Dann-Modelle und regelmäßige Trainingseinheiten mit der ganzen Mannschaft. Sicherlich ein weiterer Punkt, in dem der eSport dem traditionellen Sport nichts nichts nachsteht.
Grund 4: Das Märchen vom Nerd ohne Freunde
Wer im 21. Jahrhundert viel Zeit vor dem PC verbringt, vernachlässigt nicht automatisch auch seine sozialen Kontakte. Das war vielleicht mal so, aber aktuelle Kommunikationswege sind nun mal zunehmend digitalisiert. Das ist der Kern unserer Zeit. Teamspeak, Skype, WhatsApp, Facebook, Instagram und Co machen es möglich. Nicht selten verbringen die Clans und Teams, die den eSport als große Gemeinsamkeit haben, auch außerhalb vom Spiel Zeit miteinander und das funktioniert sowohl online als auch offline im Real-Life. Das ist, unabhängig von der Form und vom Kommunikationsweg ein ganz normaler Austausch mit Gleichaltrigen und Freunden, die den Gamer sozialisieren und mit denen er interagieren kann.
Grund 5: Liga, Struktur, Verband – der eSport hat sich organisiert
Was vor einigen Jahren noch eine Nischen-Bewegung war, hat sich geordnet, sortiert und in der Organisationsstruktur professionalisiert. Der ESDB, der 2017 in der ehemaligen Villa des DFB gegründet wurde, repräsentiert die deutschen Teams, Vereine und eSportler. Auch in Sachen Ligen steht dem eSport dem traditionellen Sport in nichts nach. Lediglich das Vereinswesen im klassischen Sinne ist noch wenig erschlossen, was wahrscheinlich nicht zuletzt daran liegt, dass der DOSB den eSPort nicht als Sport anerkennt.
Grund 6: Ausprägungen im Breiten- und Spitzensport
Wie im traditionellen Sport gibts im eSport eine breite Basis an Hobby- und Freizeitsportlern, die häufig nur wenige Stunden pro Woche vor den Konsolen und Rechnern verbringen. Die weit verbreitete „schnelle Runde FIFA“ ist wohl den Meisten ein Begriff und zählt, besonders unter jungen Männern, zum Basis-Repertoire an Softskills im sozialen Umgang. Auch, wenn man nicht nach Asien schaut, wo eSportler wie Rockstars gefeiert werden, sondern sich die Entwicklung in Deutschland ansieht, ist ein deutlicher Trend zur Professionalisierung erkennbar. Die ersten eSport-Profis können längst ihren Lebensunterhalt mit dem Spielen verdienen – Tendenz steigend.
Grund 7: Die Fansbase des eSport
Ich war absolut baff, als mein bester Kumpel mir vor ein paar Jahren Twitch gezeigt hat. Da verdienen tatsächlich Leute Geld damit, dass ihnen andere beim Spielen zuschauen. Für Nicht-Gamer unfassbar. Die einen Streamer spielen extrem gut, andere sind besonders sympathisch oder attraktiv und die wirklich erfolgreichen schaffen beides. Nicht selten schauen mehrere tausend Menschen einer Person beim Spielen zu. Das weckt einerseits das Interesse von Sponsoren und andererseits erhält man als erfolgreicher Streamer direkt Geld von der Plattform. Aber nicht nur vor den Rechnern schießen die Zahlen in die Höhe. LIVE-Events erfreuen sich ebenso wachsender Beliebtheit und sorgen nicht selten für ausverkaufte Hallen mit jubelnden Massen.
Fazit
hJa, es gibt gute Argumente, die klar dagegen sprechen, eSport auf eine Ebene mit dem traditionellen Sport zu ziehen. Töten ist, ob Spiel oder nicht, keine moralisch erstrebenswerte Handlung, die zu den Werten des Sports passt. Ansonsten hat der eSport sich in den letzten Jahren in derart vielen Facetten stark entwickelt und kann dem traditionellen Sport in vielerlei Hinsicht das Wasser reichen. Dass das IOC so verbissen an seinen alten Strukturen festhält und sich dem eSport so wenig öffnet, halte ich für nicht zeitgemäß. Die Funktionäre verpassen hier eine Wahnsinns Chance, auf einen zeitgemäßen, digitalen Zug aufzuspringen, den sie sowieso auf Kurz oder Lang nicht aufhalten können.
Gut recherchiert. Klar formuliert. Ganzheitlich und umfänglich dargestellt.
Sehr guter Blog zum Thema esport/gaming.
Beim Fazit stegt beim Ja ein H davor