Die Fitness-Branche ist im Wandel. Die Entwicklungen sind spannend, denn langsam aber sicher beginnen auch die „Best Ager“ Sport als Medizin zu sehen und sorgen für lange Wartelisten in Reha-Kursen und volle Studios im Medical-Fitness-Segment. Daniel Gier ist nicht nur mein alter Chef, sondern auch Experte auf diesem Gebiet. Im Interview verrät er, welche Entwicklungen die Branche und die Gesellschaft aktuell durchmachen.
Wer Sport treibt, bleibt gesund und lebt länger. Stimmt das?
„Wer Sport treibt, wird gesünder und bleibt gesünder.“ So ist dir Formulierung wohl am ehrlichsten. Aber ja, wenn es ein Medikament gäbe, das die selben Wirkungen wie Sport hat und all seine Vorzüge in eine Tablette pressen würde – der Erfinder wäre garantiert der nächste Nobelpreisträger. Im Übrigen lebt ein sportlicher Mensch statistisch gesehen nicht länger. Aber er wird gesünder alt. Böse Zungen sagen, „man lebt nicht länger, stirbt aber gesünder“. Auch eine Perspektive.“
Bürojobs, Lieferservice und Kinder vor Spielekonsolen statt auf Spiel- und Sportplätzen. Sind wir Opfer unseres modernen Lebensstils oder gibt es noch Hoffnung in der Fitness-Branche?
Natürlich gibt es Hoffnung, sonst würde ich nicht Rede und Antwort stehen. Zunächst erfreut sich die Fitnessbranche weltweit einer ungebrochenen Beliebtheit und einem stetigem Zulauf mit zum Teil zweistelligen Wachstumsraten. Sportevents, wie Volksläufe, Hindernisläufe, Crossläufe oder Firmenläufe zeigen deutlich, dass auch fernab des klassischen Verbands- und Wettkampfsports viele Menschen mit Ehrgeiz ihrem Hobby nachgehen.
Aber auch die Angebote der Sportvereine passen sich den Herausforderungen an und werden moderner, zukunftsorientierter und flexibler. Sport ist nicht „out“, aber es gibt in der jetzigen Zeit so viele andere Ablenkungen, dass eine höhere Überzeugungskraft geleistet werden muss.
Das, was tatsächlich fehlt, ist eine sich manifestierende Grundeinstellung in den europäischen Ländern gegenüber dem Thema „Sport und Bewegung als Lebensstil“. In Asien ist das gemeinsame morgendliche Tai Chi Ritual ein fester Bestandteil einer Bewegungskultur und -Erziehung. In Australien ist man „Aussenseiter“, wenn man nicht einmal am Tag im Schwimmbecken war.
Welche Lösungen forderst du auf politischer Ebene?
Politisch darf man auch mehr Förderung erwarten! Und zwar in allen Bereichen: Bewegungs- und Gesundheitserziehung ab der KITA über die Ganztagsbetreuungen bis hin zur Grundschule und OGS. Attraktive Förderung, die Lust macht auf mehr, die Anreize schafft und motivierend ist. Sportliche Schwerpunkte in den weiterführenden Schulen, vier Stunden Sport pro Woche statt zwei, Sport als Abiturfach wieder zulassen, ergänzend Präventions- und Gesundheitserziehung – damit wird eine grundsätzliche Priorität auf das ganze Thema gelenkt.
Eine bessere Ausstattung von Sporthallen, eine bessere Unterstützung von Vereinen, eine höhere Akzeptanz von Gesundheitsanbietern aus der Trainings- und Fitnessbranche, die seit vielen Jahren einen massiven Beitrag zur Volksgesundheit beitragen… Es gibt so viele Ansätze, die notwendig sind, um auch die nächsten Jahrzehnte den kommenden Herausforderungen einer noch technologisierteren Arbeits- und Freizeitwelt entgegenzutreten.
Kennst du Fälle, in denen Sport präventiv oder rehabilitativ geholfen hat?
Ja, eine Menge. Ich kann diverse Beispiele nennen, aber mal grundsätzlich: Es gibt für diese Frage eine derartig eindeutige Studienlage weltweit, die klar und ohne Einschränkung die positiven Effekte von Sport und Bewegung auf die körperliche, geistige, seelische und soziale Gesundheit zeigen, dass man keine weiteren „Beweise“ mehr anführen muss.
Und: Sport ist universell einsetzbar. Es gibt im Grunde keine Einschränkung. Selbst auf der Intensivstation wird der Patient in die „Aktive Bewegung“ gebracht. In der Physiotherapie oder Ergotherapie ist das Haupteinsatzmittel Bewegung und Training. In der Sportwissenschaft und -therapie geht es dann weiter.
Wir betreuen Rückenschmerzpatienten, Patienten mit onkologischen Erkrankungen, Kunden mit Beckenbodenproblematiken, Menschen mit Herz-Kreislauf- oder Stoffwechselstörungen und vieles mehr.
Du bist Initiator der beiden Leuchtturm-Projekte Aachener Firmenlauf und Sport im Park, die jedes Jahr mehrere zehntausend Menschen zum Sporttreiben bewegen. Glaubst du, solche Projekte können auch nachhaltige Effekte erzielen und die Menschen langfristig zum Sporttreiben bewegen?
Ja und irgendwie auch nein. Ich bin überzeugt, dass sich „Sport und Bewegung“ neu definieren muss. Es braucht mutige, innovative und auch motivierende Ideen, um die erwähnte „manifestierende Grundeinstellung“ der Menschen gegenüber Sport zu verändern und zu verbessern. In Aachen helfen der Aachener Firmenlauf sowie Sport im Park erheblich dabei, auch mal diejenigen zu bewegen, die sich selbst eher nicht motivieren können. Für viele ist es einfach „cool“, dort mitzumachen. Viele erleben zum ersten Mal, dass es Spaß macht, sich im Freien und sogar unter fremden Mitstreitern sportlich zu betätigen. Man ist einer von Vielen. Das stärkt ein Gemeinschaftsgefühl und verändert auch sicherlich die Einstellung von Einzelnen.
Aber wie das dann mit der Selbstmotivation so ist: sie geht auch mal vorbei. Am Anfang braucht es diese Motivation. Um dann langfristig weiterzumachen braucht es Gewohnheit und Routine. Die stellen sich aber nur ein, wenn dem Sport eine Priorität zugeordnet wird und zum Manifest wird. Ich denke schon, dass die Projekte in Aachen für unseren Wirkungsgrad vielen dabei helfen, Sport einen festen Raum im eigenen leben einzurichten. Und das ist wichtig!
Welche Veränderungen beobachtest du in der Fitness-Branche? Ist der durchschnittliche Kunde von vor 10 Jahren noch der von heute oder sogar von morgen? Welche Herausforderungen bringt das mit sich?
Die Fitness-Branche frisst aktuell die eigenen Kinder. Was ich meine: Aktuell verschwinden alle Anbieter am Markt, die sich nicht eindeutig zu einem Schwerpunkt bekennen. Viele klassische Fitnessstudio-Betreiber schlingern orientierungslos hin und her und „Nischen-Anbieter“ sind nicht mehr gefragt.
Grob gesprochen gibt es zwei thematische Felder: „Fitness“ und „Gesundheit“.
Fitnessanbieter haben als klassische Zielgruppe den jungen, sportaffinen Kunden (oder den, der es werden möchte) und setzen auf klassische Fitnessthemen: Bodyforming, Lifestyle, Beauty, Wellness, Ambiente, Status Symbol, effektives und intensives Training mit schnellen Erfolgserlebnissen und Fitnesskursen (Zumba und Co.).
Welche Rolle spielt der Unterschied zwischen der Fitness-Branche und Medical-Fitness Anbietern?
Gesundheitsanbieter sind Lösungsanbieter: Die Zielgruppe definiert sich aus Kunden, denen oben genannte Attribute nur zweitrangig wichtig oder sogar völlig egal sind. Zumeist liegen gesundheitliche Probleme vor. Aus dem Grund suchen sie persönliche Beratung, medizinische und therapeutische Trainingsansätze, Coaching- und Betreuungsleistungen. Die fachliche Kompetenz von Mitarbeitern ist das entscheidende Qualitätsmerkmal.
Das Problem bei der ganzen Sache: der Kunde kann nicht unterscheiden, wer sein Dienstleistungsversprechen auch wirklich hält oder wer nur darüber spricht. Eindeutige „Qualitätssiegel“ fehlen und sind auch nicht erwünscht. Ich bedaure das. Mehr Transparenz für Kunden und fest definierte Qualitätsmerkmale würden der Fitness-Branche sehr gut tun.
Die Fitnessanbieter haben am Markt zusätzlich eine Preisdiskussion, da Discount-Fitnessketten sehr häufig hinsichtlich struktureller oder apparativer Aussstattungsmerkmale den „normalen“ Fitnessanbietern häufig in Nichts nachstehen. Das macht es für Anbieter schwer, aber für Kunden noch schwerer.
Hero oder Zero? Milon, eGym und Co machen das Personal in der Fitness-Branche zunehmend überflüssig. Brauchen wir bald keine Trainer mehr?
Rhethorische Frage? Nein? Nun gut: Also ich bin überzeugt davon, dass es nicht ohne Menschen geht! Wie in allen Dienstleistungsbranchen. Dienstleistungen werden von Fachpersonal erbracht, nicht von Maschinen oder Geräten. Aber ja, ein Ziel von digitalisierten Trainingskonzepten ist, Coaching- oder Beratungs- / Betreuungsleistungen an einen Computer „out zu sourcen“. Zum Teil kann das auch funktionieren.
In Bezug auf meine vorherige Antwort stellt sich also die Frage: Was biete ich als Profi an? Gerätekonzepte und Computer, die das Training steuern? Oder setze ich auf Fachpersonal? Das ist nicht nur eine konzeptionelle Entscheidung, sondern auch eine wirtschaftliche, da alles Geld kostet. Und am Ende muss man die Entscheidung treffen, an welcher Stelle man das Geld investiert.
Aus meiner Sicht wird es immer beides geben: Anbieter, die auf weniger Personalqualität und -quantität setzen, dafür mehr auf apparative und computergestützte Systeme. Und Anbieter, die vor allem die Personalqualität und die Personalquantität in den Fokus rücken und dafür auf gewisse (und teure) Features verzichten.
Am Ende muss aber auch der Computer-Zirkel von gutem Personal eingestellt werden.
Nehmen wir mal eine andere Branche: Handwerker! Ich kann als Handwerker das beste Werkzeug haben, das Resultat ist am Ende für den Kunden nur so gut, wie es der Profi anzuwenden weiß.
Am Ende des Tages entscheidet der Kunde, welches Angebot am besten zu ihm passt. Will man in ein Fitness-Studio, in dem man günstig trainieren und dicke Muskeln aufbauen kann, aber qualitativ und quantitativ schlechter betreut wird oder entscheidet man sich für einen Gesundheits-Anbieter, der gesundheitsorientiertes Training anbietet, Lösungen für die körperlichen Beschwerden liefert und seine Mitglieder mit qualifiziertem Personal intensiv betreut.
Ihr habt durch eine wissenschaftliche Langzeitstudie in Kooperation mit der FH Aachen bewiesen, dass gesundheitsorientiertes Rückentraining die AU-Tage in Unternehmen reduzieren kann. Sollten sportlich-aktive Menschen vom Staat belohnt werden, weil sie nicht nur das Gesundheitssystem entlasten, sondern gleichzeitig auch die Wirtschaft stärken, da sie weniger arbeitsunfähig sind? Wie könnte das aussehen?
Dass Sport, Bewegung und Aktivität IMMER positive Auswirkungen auf Körper, Geist und Seele hat und zudem einen hohen Einfluss auf die soziale Gesundheit hat, ist zu genüge bewiesen worden. Unzählige Studien aus der ganzen Welt beweisen dies seit vielen Jahren.
Uns interessierte vor allem die Frage, ob durch die Reduzierung von AU-Tagen ein „return of invest“ stattfindet. Soll heißen, wenn eine Firma in die Gesundheit von Mitarbeitern investiert (und zum Teil viel Geld dafür ausgeben muss), hat sie dadurch am Ende sogar finanziell gewonnen?
Die durchgeführten Maßnahmen zeigten erwartungsgemäß und hinsichtlich der bereits bewiesenen positiven gesundheitlichen Auswirkungen sehr gute Resultate.
Nachdem wir dann aber sogar belegen konnten, dass durch die Reduzierung der Ausfallzeiten in der Belegschaft die Firma sogar finanziell mehr erwirtschaftet, als sie für die Gesundheitsmaßnahme ausgegeben hat, wurde die Sache so richtig spannend.
Als Inhaber oder Geschäftsführer einer Firma wird nun aus einem Soft-Skill ein Hard-Skill, da sich nicht nur die positiven Auswirkungen bei den Mitarbeitern zeigen, sondern auch auf dem Konto der Firma.
Am Ende sind solche Maßnahmen viel zu selten. Die Verantwortung liegt beim Menschen selber. Und ja, ein Belohnungsmodell für besonders gesunde, sportliche, aktive Menschen wäre lobenswert. Die Umsetzung eines solchen Modells gestaltet sich aber schwierig, da viele Parameter einfliessen. Ich bin mir sicher, dass dies irgendwann unumgänglich ist und es auch dann eine gute Lösung gibt.
So sieht die Gesundheits- und Fitness-Branche im Jahr 2050 aus:
Ich fasse das globaler: Die FITNESSbranche bleibt so attraktiv und schnelllebig wie aktuell. Training wird nicht neu erfunden, aber attraktiver, spannender und abwechslungsreicher. Fitness gehört zum guten Ton! Keine „Muckibude“, kein „Bodybuilding“ sondern die eigene körperliche Fitness ist ein hohes, wenn nicht das höchste Gut geworden.
Im Bereich der Gesundheitsanbieter sehe ich das so: Aufgrund der immer höheren Inaktivität der Menschheit und der damit einhergehenden ansteigenden Zivilisationskrankheiten sowie der weiter anwachsenden Alterspyramide und immer mehr Senioren Ü90 und Ü100 werden folgende Maßnahmen in der Gesellschaft eingebettet:
Maßnahmen:
- Bewegungs- und Aktivitätserziehung in den KITAs
- 3x pro Woche Sport und Gesundheitserziehung (inkl. gesunder Ernährung) in der Grundschule
- Täglich eine Stunde Sport / Bewegung in den weiterführenden Schulen sowie Gesundheits- und Medizinlehre 2x pro Woche
- Steuerliche 100%tige Absetzbarkeit von innerbetrieblichen Gesundheitsmaßnahmen, wenn sie TÄGLICH durchgeführt und angeboten werden
- Ab dem Rentenalter Förderprogramme für weiterführende, tägliche Bewegungsangebote mit angepassten Inhalten
- Mehrwertsteuersatz wird in der Gesundheits- und Fitness-Branche auf 0% (oder 7%) abgesenkt
- Klare gesetzliche Vorgaben zur Reglementierung der Fitness-Branche hinsichtlich qualitativer und quantitativer Merkmale beim Personal
- Fördertöpfe von Bund, Ländern und Kommunen werden gezielt für Gesundheitsmaßnahmen eingesetzt und massiv erhöht
- Die Sportwissenschaft wird anerkannter therapeutischer / präventiver Berufsstand im Sinne eines Heilmittel-Erbringers analog zur Physiotherapie o.ä.
- Weitere Berufsstände werden in der Akzeptanz steigen, da die Priorität des Themas weiter ansteigt
- Die Digitalisierung wird „erschwinglich“ sein und jeder Anbieter arbeitet mit entsprechenden Systemen
- „Fit für 100“ Bewegungsprogramme bis in die Alten- und Pflegeheime hinein sind Standard
- Jeder macht Sport!
Über Daniel Gier
Daniel Gier ist Sportwissenschaftler und Geschäftsführer der MedAix-Gruppe. Er betreibt mehrere Physiotherapie-Praxen und Trainingszentren mit den Schwerpunkten gesundheitsorientiertes Training und Rückengesundheit.
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