Daniel Gier ist Unternehmer und Experte in der Gesundheits- und Fitnessbranche. Als Geschäftsführer der Medaix-Gruppe gibt er spannende Insights über die dramatische Situation der Branche im Corona-Lockdown, kritisiert das Vorpreschen von McFit und bewertet die Maßnahmen der Regierung.
Wie schätzt du die aktuelle Lage der Gesundheits- und Fitnessbranche ein?
Der Corona-Lockdown trifft die Fitnessbranche immens. Kunden haben aktuell zwei Möglichkeiten: Möglichkeit 1: Sie setzen die Zahlung ihrer Beiträge aus und die Studios haben keine Einnahmen. Möglichkeit 2: Sie zahlen den Betreibern während des Lockdowns ihre Beträge weiter und bekommen dementsprechend Freimonate am Ende des Vertrags. Der zweite Fall wird dafür verantwortlich sein, dass das große Ausbluten der Studios erst noch kommen wird, wenn sie wieder öffnen, sie ihre laufenden Kosten wieder hochfahren, aber dafür nicht mit Umsatz belohnt werden. Ja, es gibt Hilfen der öffentlichen Hand. Aber keine Hilfe kann die Verluste kaschieren, die wir grade erleiden und noch erleiden werden.
Berufspolitisch ist die aktuelle Lage eine Bankrotterklärung der Politik an voll akademisierte Berufsstände, wie diplomierte Sportwissenschaftler, BA Gesundheitsmanager und andere. Man hat uns, natürlich auch neben anderen Berufsständen, für unwichtig erklärt. Wir sind verzichtbar! Das schmerzt und ist ein erheblicher Reputationsverlust. Jeder Tag Lockdown mehr verstärkt diese Verzichtbarkeitserklärung.
Es wird viel über die Öffnung der Friseure diskutiert. Wir gönnen jedem Berufsstand seinen Erfolg, weil er ein guter Schritt in die richtige Richtung ist. Die unabdingbare Bedeutung des Friseurhandwerks für die Hygiene der Menschen darf man aber trotzdem gerne in Frage stellen.
Die Monate Januar bis Mai sind in der Fitnessbranche traditionell die Monate, mit den meisten Neukunden. Die fallen dieses Jahr aus.
Das ist richtig, aber nur die Spitze des Eisbergs. Wir gewinnen nicht nur keine neuen Kunden dazu, sondern verlieren auch viele, weil eben Januar bis Mai die Monate waren, in denen die meisten Kunden in der Vergangenheit ihre Jahresmitgliedschaften abgeschlossen haben. Die laufen jetzt natürlich alle ohne Verlängerung aus.
Der Rückkehr zu einem Status Quo vergleichbar mit der „Pre-Corona-Zeit“ ist mit harten Einschnitten, massiven finanziellen Verlusten und auch nur über einen langen Zeitraum möglich. Das werden viele Anbieter nicht schaffen und aufgeben, oder Ihre Dienstleistung erheblich reduzieren. Hier hilft uns kein Staat, keine Politik, kein Fördertopf. Der Schaden ist bereits jetzt immens und dieser verbleibt beim Unternehmer.
Welche Hilfen gibt es von der Politik für die Gesundheits- und Fitnessbranche?
Ich kann mal ganz wertfrei sagen: Bei uns sind im März die Überbrückungshilfen von November angekommen. Und die hoch angepriesenen KFW-Darlehen sind auch ein zweischneidiges Schwert: Klar, sie verschaffen einem Liquidität, aber auf der anderen Seite haftet der Geschäftsführer privat für die Darlehen, Ausschüttungen können nicht mehr vorgenommen werden und Gehälter können nicht mehr angepasst werden. Man macht sich also ein Stück zum Lakaien der KFW. Am Ende gewinnt der, der die größte Liquidität auf dem Konto hat – oder hatte.
Sobald der Lockdown aufgehoben wird, ist der Unternehmer völlig allein gelassen. Es gibt keine Förderhilfen oder Gelder für die Post-Pandemie-Zeit, obwohl es gerade dann am notwendigsten wäre. Siehe Einzelhändler: Light-Re-Start, click and collect, Terminshopping mit Test usw. funktioniert nicht! Keiner will öffnen, wenn klar ist, dass kein Kunde kommt. Beim Re-Start hilft einem keiner.
Welche Kosten fallen denn in einem geschlossenen Fitnessstudio überhaupt noch an?
Die größten Batzen sind sicherlich Miete und das Geräte-Leasing. Unsere Geschäftspartner müssen schließlich auch überleben und deshalb hat man hier kaum eine Chance darauf, die Leistungen zu stündigen. Personal kann man zwar in Kurzarbeit schicken, aber das Kurzarbeitergeld wird anschließend ja mit den Überbrückungshilfen verrechnet. Geschenkt bekommt man sicherlich nichts.
Kurzarbeitergeld kompensiert außerdem nur bis zu ca. 60-70% die Arbeitgeber-Kosten. Ein nicht unerheblicher Teil wird weiterhin vom Arbeitgeber getragen. Lohnkosten des Unternehmers werden gar nicht ersetzt. Einzelunternehmer, Kaufleute oder Händler erhalten gar keinen Ersatz für ihre eigenen „Personalkosten“, also den eigenen Lebensunterhalt. Das wird schlicht ausgeblendet. Der Unternehmer muss schauen, wie er sich selbst hilft.
Steuerberater-Kosten, Darlehen, Tilgungen, Zinsen, Strom und Abschreibungen laufen weiter. Ein Teil ist schlicht eine bilanzielle Betrachtung, andere Teile sind massiv liquiditätsbelastend. Aktuell haben wir beispielhaft an unseren Standorten weiterhin einen nicht kompensierten Kostenblock von ca. 20-30%
Was wünschst du dir von der Politik?
Die Politik muss endlich damit aufhören, mit Verboten zu agieren. Es fehlt an mutigen, kreativen und außergewöhnlich flexiblen Lösungen durch die Politik. Harte Richtlinien und Hygiene-Konzepte sind gut und sinnvoll, jedoch ist aktuell das Einzige, was passiert, uns als Unternehmen in den nächsten Lockdown zu schicken. Die Geduld der Unternehmer ist in Anbetracht des erheblichen Missmanagement der Regierung an vielen Punkten extrem strapaziert.
McFit hat als Branchenriese einen mutigen Vorstoß gewagt und überraschend Outdoor-Gyms eröffnet. Wie bewertest du das für die Fitnessbranche?
Wenn es das Ziel von McFit war, Aufmerksamkeit zu erregen, haben sie ihr Ziel ohne Zweifel erreicht. Meiner Meinung nach haben sie aber für die gesamte Branche ein absolut falsches Zeichen gesetzt, unter der jetzt alle Betreiber leiden müssen. „Einfach mal machen“ ist zur Zeit einfach nicht drin! Der Image-Schaden für die Fitnessbranche, der durch das Vorpreschen von McFit entstanden ist, wird uns noch um die Ohren fliegen. Wer so handelt, bekommt automatisch weniger Gehör von der Politik.
Nach eigener Aussage setzt sich McFit für Bewegung und Sport ein. Dem ist grundsätzlich beizupflichten und es ist gut, dass der Brachen-Primus (wenn auch er ein Discount-Dienstleiter ist) seine Reichweite nutz und auf das Problem aller Hinzuweisen. Die Sorgen von McFit teilt die ganze Branche.
Es geht ja nicht der ganzen Fitnessbranche schlecht. Anbieter von Online-Angeboten gehen aktuell mit einem breiten Lächeln zur Arbeit.
Ich halte es für unrealistisch, dass Peloton, Freeletics und Co. unsere Branche dauerhaft übernehmen. Ohne Zweifel haben diese Anbieter ein gutes Angebot und sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort, dennoch können Online-Angebote niemals das ersetzen, worum es eigentlich geht. Beim Training geht es um das Gesamterlebnis, dazu gehört neben einer persönlichen Betreuung und Beratung, ebenfalls das Trainingsumfeld und Socializing. Hometraining kann daher niemals ersetzen, was wir machen.
Das klingt sehr romantisch. Willst du sagen, dass die Fitnessbranche von der Digitalisierung unberührt bleibt?
Auf keinen Fall. Der hybride Markt, in dem digitale und analoge Angebote viel näher zusammenrücken, ist schon längst existent. Jedes etwas größere Studio hat heutzutage eine eigene App, mit der man sein Training tracken kann oder die einem Übungstipps für zuhause gibt. Aber die Kern-Dienstleistung an sich wird immer analog bleiben. Das gilt für die ganze Branche aber am deutlichsten für die Gesundheitsanbieter. Training mit körperlichen Beschwerden wie Rückenschmerzen braucht eine individuelle Betreuung und die kann keine App der Welt so gut leisten, wie ein geschulter und top-ausgebildeter Trainer Face-to-Face.
Werfen wir einen Blick nach vorne. Glaubst du, dass die Leute den Studios die Türen einrennen, sobald der harte Lockdown vorüber ist?
So war es auf jeden Fall beim ersten Lockdown. Die Leute waren mehrere Wochen aus ihrer Routine gerissen und waren alle heilfroh, wieder trainieren zu dürfen. Für viele bedeutete das auch ein großes Stück Normalität. Natürlich ist jetzt, nach mehreren Monaten im Lockdown die Angst irgendwo da, dass eine Art Umerziehung der Gesellschaft stattgefunden hat. Die Menschen haben Jahre gebraucht um zu verstehen, wie wichtig Bewegung und Training für ihre Gesundheit ist. Jetzt hat die Motivation stark gelitten. Deshalb ist in den nächsten Wochen und Monaten eine starke Kommunikation für Studio-Betreiber das A und O.
1 Kommentar