50+1 Regel für alle Sportarten?

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Verbands-Statuten sind im Normalfall relativ trocken, stehen selten in der Öffentlichkeit und regen nur selten zu Diskussionen an. Eine Ausnahme macht die 50+1 Regel der Deutschen Fußball-Liga (DFL), die es Kapitalanlegern verbietet, die Stimmmehrheit in den ausgegliederten Kapitalgesellschaften (also in den Profimannschaften) von Fußballvereinen zu übernehmen. Aber was genau bringt die 50+1 Regel eigentlich? Und viel wichtiger: warum existiert sie nur im Fußball?

 

50+1 Regel – Was ist das genau?

DFB Satzung § 16c Abs. 3: zur Spielberechtigung muss der Mutterverein 50% und 1 Stimmrecht der ausgegliederten Kapitalgesellschaft besitzen, um von der DFL eine Spielberechtigung zu bekommen. Handelt es sich um eine KGaA muss der Mutterverein selbst, oder eine Tochtergesellschaft, die durch ihn beherrscht wird, als Komplementär (=Vollhafter) eingetragen sein. Aber Ausnahmen bestätigen die Regel…

Ausnahmen der 50+1 Regel

Die 50+1 Regel gilt nicht immer. Ausgenommen sind z.B. Investoren, die seit min. 20 Jahren maßgeblich und ununterbrochen den Club fördern. In solchen Fällen kann der Ligaverband eine Ausnahmegenehmigung erstellen. Grundvoraussetzung für diese Ausnahme ist allerdings, dass der Amateur- und Nachwuchsbereich ebenfalls gefördert wird und die Anteile an der Profimannschaft nicht weiterverkauft werden. Das ist in der Bundesliga bei der TSG Hoffenheim, Bayer Leverkusen und dem VfL Wolfsburg der Fall.

Warum die 50+1 Regel?

Ziel der Regel ist, Großinvestoren die Möglichkeit zu nehmen, die Kontrolle über die Profimannschaften der Vereine zu gewinnen. Damit soll dem weltweiten Trend der Kommerzialisierung des Fußballs entgegengewirkt werden und dem Wettbieten der Vereine um Spieler mit horrenden Gehältern und aberwitzigen Ablösesummen einen Riegel vorzuschieben. Vereine, in denen Tradition und der „Geist des Fußballs“ eine wichtige Rolle spielen, sind Befürworter dieser Regel. Clubs, die internationale Wettbewerbe und Gewinnmaximierung anstreben, sprechen sich häufiger gegen die 50+1 Regel aus und fordern ihre Abschaffung. Dies sorgt für reichlich Zündstoff.

Nicht alle Fans wollen die 50+1 Regel abschaffen

Kritik an der 50+1 Regel

Das plakativste Argument gegen die 50+1 Regel ist, dass die deutschen Clubs befürchten, in finanziellen Rückstand gegenüber Clubs aus anderen Ländern zu kommen, in denen die Regel nicht existiert. Die fehlenden finanziellen Mittel werfen die Clubs in Konsequenz dann natürlich auch sportlich um Lichtjahre zurück. Fazit: Man ist international nicht mehr wettbewerbsfähig.

Weiter gehts auf der Ebene des EU-Rechts: im europäischen Raum besteht das Recht auf freien Wettbewerb. Wenn eine Kapitalgesellschaft sich neues Fremdkapital beschaffen will, ist das rein juristisch erstmal möglich – ganz egal zu wieviel Prozent sie dann von Investoren beherrscht wird. Das beisst sich mit der 50+1 Regel und sorgt bei Vielen für großes Unverständnis. 

Was ich mich bei dieser Diskussion frage: Warum reden hier eigentlich immer alle nur über Fußball?

50+1 Regel für alle?

Es ist schon lange kein Geheimnis mehr, dass Umsätze, Gehälter und Erlöse aus dem Sponsoring in allen Profiligen deutlich steigen. Natürlich sind Handball, Eishockey, Basketball und Co. in Deutschland noch meilenweit entfernt von dem, was im Fußball umgesetzt wird, aber spielt das bei dieser Diskussion eine Rolle?

Durchschnittlicher Umsatz pro Club pro Saison

Großinvestoren haben häufig eine besondere Bindung zu „ihrem“ Club. Bei dem Sponsoring geht es nicht immer um return of invest oder key performance Index. Es geht um Emotionen, Macht und persönlichen Einfluss. Warum sollten diese Bedürfnisse nicht auch bei einem Investor aufkommen, der eine persönliche Vorliebe für Handball oder Eishockey hat?

Her mit der Finanzspritze!

Die Manager der Vereine werden jetzt schreien „Moment mal – wir sind doch schon froh, wenn uns überhaupt jemand unterstützt!“. Damit haben sie auch im ersten Schritt recht. Die Diskrepanz zwischen Fußball und allen anderen Sportarten und Deutschland ist auf finanzieller Ebene derart groß, dass es ein deutlicher Rückschritt wäre, Restriktionen irgendeiner Art für Investoren und Sponsoren einzuführen.

 

Aber was passiert, wenn man den Prozess zu Ende denkt? Genau das, wovor der Fußball sich vehement zu schützen versucht: Investoren könne die Macht übernehmen und haben die Möglichkeit, den Sport zu ihren Gunsten oder nach ihren Vorstellungen zu beeinflussen. Das muss natürlich nicht immer automatisch schlecht sein. Aber dem ursprünglichen Gedanken von Sport und dem Prinzip der Subsidiarität entspricht es nicht.

Die 50+1 Regel ist für die Clubs eine willkommene Finanz-Spritze

Tradition um jeden Preis? Fehlanzeige.

Was würde es für einen Fußball Bundesligisten bedeuten, wenn ein Großinvestor, der mehr als 50% der Anteile in der Kapitalgesellschaft hält, aussteigt oder gar nicht erst einsteigen darf? Weniger Einnahmen, schlechtere Perspektiven auf dem Transfermarkt, wahrscheinlich weniger sportlicher Erfolg und ggf. sogar den Abstieg in die zweite oder dritte Liga. Das wiederum würde einige Fans abschrecken. Jedoch nicht die traditionsbewussten Kurven-Steher, deren Dauerkarte seit Generationen in Familienbesitz ist und die am lautesten schreien, wenn es um die Abschaffung der 50+1 Regel geht. Ihre „Religion Fußball“ macht ihnen Spaß – egal, ob in der ersten oder dritten Liga. Sie bekommen nämlich, egal ob 1. oder 3. Liga, ein sehr vergleichbares Produkt geboten.

Was würde wohl passieren, wenn man einem Handball-, Basketball-, Volleyball- oder Eishockey-Club einen Großteil seiner finanziellen Mittel streicht weil man Investoren verbietet, ihr Geld in den Club zu stecken? Wahrscheinlich wäre das Szenario vergleichbar mit dem Fußball. Finanzielle Einbußen, weniger sportlicher Erfolg, weniger Fans, Abstieg. Moment – Abstieg?

Ich muss wahrscheinlich nicht groß ausholen, um zu erklären, wie drittklassiger Volley- oder Handball aussieht, oder? Eine etwas bessere Schulsport-Halle, die Mütter verkaufen selbstgebackenen Kuchen und die Geschäftsstelle arbeitet ehrenamtlich. Der Bäcker von nebenan ist Hauptsponsor, weil er den neuen Satz Trikots bezahlt hat. Das ist Vereinsromantik aus dem Bilderbuch. Aber sind Fans bereit, so weit zu gehen, bloß um den bösen Investor rauszuhalten? Offensichtlich nicht – sonst wären die kritischen Stimmen in den genannten Ligen wohl genauso laut, wie beim großen Bruder Fußball.

Worauf ich hinauswill: Traditionsbewusste Fans sind bereit, ein paar Abstriche zu machen. Aber wenn es an die Substanz des Vereins geht und sie durch ihre abwehrende Haltung gegenüber Großinvestoren (überspitzt gesagt) Fan von einem Dorf-Club werden, verstummen die Stimmen relativ schnell und man arrangiert sich damit, dass es eben keine 50+1 Regel gibt.

50 + 1 Regel: Alles oder nichts

Ich formuliere hier mal bewusst überspitzt: Für einige Großinvestoren sind ihre Anteile und ihre Macht in Vereinen einfach nur ein verdammt teures Hobby. Rational nachvollziehbar sind die Investitionen in den wenigsten Fällen. Was passiert, wenn dem Investor plötzlich langweilig ist und er sich ein neues Hobby suchen will, Lust auf eine andere Sportart oder einen konkurrierenden Verein bekommt?

Ja, sicher gibt es Ausstiegs-Klauseln und Absicherungen. Trotzdem stehen die Vereine erstmal vor einem schier unüberwindbaren finanziellen Loch, das schnellstmöglich gefüllt werden muss. Die finanzielle Zukunft von Profimannschaften ist ohnehin schon sehr risikobehaftet. Man macht sich mit vielen Millionen Euro Einsatz von der Tagesform teilweise minderjähriger Spieler abhängig. Klingt erstmal nicht nach einer sicheren Anlage. On top nehmen Vereine dann aber noch in Kauf, ihre finanzielle Zukunft von der Laune eines Großinvestors abhängig zu machen, nur um zu erreichen, dass er seine Investitionen nicht zurückzieht.

Was bleibt?

Handball, Eishockey und Co. wollen den Anschluss an den Fußball nicht verlieren und haben deshalb keine 50+1 Regel in ihren Satzungen. Damit setzen sie sich einem immensen finanziellen Risiko aus. Die Fans, die normalerweise stolz darauf sind, keine Anhänger des überkommerzialisierten Fußballs zu sein, spielen brav mit. Sie wehren sich nicht gegen Großinvestoren, weil sie wissen, dass sie ohne Investor ihren Club bald eventuell in einer Schulsporthalle anfeuern müssten.

Natürlich sollte man das kritisch sehen und hinterfragen. Aber die grade geäußerte Kritik an den Vereinen und den Fans wäre hier zu kurzsichtig, um sie unreflektiert stehen zu lassen. Es geht hier viel mehr um eine kritische Frage an das ganze Sport-System. Hätten alle Sportarten dieselben Mittel zur Verfügung, könnte man es sich vielleicht auch im Basketball erlauben, über die Kommerzialisierung und Großinvestoren zu meckern. So, wie es aktuell ist, bleibt den Protagonisten aber kaum eine andere Chance als die Risiken und Nebenwirkungen zu akzeptieren.

Auf gut Deutsch: Ist scheiße, ist aber so.

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